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Ausgeschlafen?! Einblicke in eine schlaflose Gesellschaft und deren Auswirkungen auf Befinden und Berufsalltag

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Schlaf ist ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen. Wer nicht schläft, stirbt.

Dennoch ist, wie die meisten Menschen wissen, Schlaf nicht gleich Schlaf. Um sich erholt und kraftvoll zu fühlen, ist nicht nur die Dauer, sondern auch die Qualität, Regelmäßigkeit und die richtige Zeit des Schlafens wesentlich. So individuell Schlafbedürfnisse – oder muster auch sein mögen, ein ausreichend erholsamer Schlaf ist wichtig, da bestimmte physiologische Vorgänge nur in dieser Zeit ablaufen, wie bspw.:

  • die Erholung des Gedächtnisses und Förderung der Hirngesundheit,
  • die Regeneration von Zellen und Stärkung des Immunsystems,
  • die Regulation von Herz-Kreislauf-Aktivitäten,
  • ein ungestörter Zucker- und Fettstoffwechsel (tendenziell haben Ausgeschlafene einen geringeren BMI als Menschen mit Schlafstörungen) und
  • die Förderung des Muskelaufbaus.

Es gibt sehr unterschiedliche Formen von Schlafstörungen, die nach Art (Einschlaf- oder/ und Durchschlafstörungen, vorzeitiges Erwachen) und Verlauf (akut, subakut, chronisch) eingeordnet werden. Zudem differenziert die ICD-10-GM-Klassifikation nichtorganische und organische Schlafstörungen.

In diesem Artikel geht es ausschließlich um nichtorganische Schlafstörungen, deren Diagnose auf der subjektiven Einschätzung von Betroffenen beruht und durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:

„Schlaflosigkeit oder primäre Insomnie ist nach ICD-10 definiert als eine subjektiv empfundene Ein- und Durchschlafstörung mit beeinträchtigter Befindlichkeit am Tage, und zwar für wenigstens dreimal die Woche einen Monat lang.“ (Deutsches Ärzteblatt, 06/ 2016).

Typische Beschwerdebilder von Schlaflosigkeit sind:

  • Wiederholte nächtliche Ein- und/ oder Durchschlafstörungen
  • Nichterholsamer Nachtschlaf trotz Schlafhygiene
  • Tagesmüdigkeit, Schläfrigkeit, Fatigue
  • Stimmungsschwankungen und Gereiztheit
  • Konzentrationsschwäche
  • Eingeschränkte Merkfähigkeit
  • Individuelle soziale oder/ und berufliche Beeinträchtigungen
  • Betroffene stellen fest, dass Schlafdefizite nicht mehr kompensierbar sind (auch nicht an Wochenenden oder im Urlaub)
  • Zunehmende Sorgen über den unerholsamen Schlaf, was wiederum zu nächtlicher Unruhe und unerholsamen Schlaf führt

Neben einer auf Dauer stark beeinträchtigenden Lebensqualität, stehen Schlafstörungen auch in Zusammenhang mit Risiken für andere Erkrankungen:

  • Herz-Kreislauferkrankungen
  • Bluthochdruck
  • Schlaganfälle
  • Bei weniger als viereinhalb Stunden ungestörtem Schlaf: erhöhtes Diabetes-Risiko, da Schlafmangel Körperzellen weniger empfindlich für Insulin macht (Blutzuckerregulation)
  • Übergewicht
  • Schlafapnoe-Syndrom führt zu Tagesschläfrigkeit, Konzentrations- und Antriebsschwäche, Stimmungsschwankungen (Depressionsneigung)
  • Drei von vier Menschen mit chronischen Kopfschmerzen leiden zusätzlich unter Schlafstörungen
  • erhöhtes Demenzrisiko

Folgende Daten und Studienergebnisse zeigen, dass Menschen mit Schlafproblemen keine Ausnahme sind und die Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten, mehr Beachtung finden sollte.

  • Mehr als 30 % der Allgemeinbevölkerung leiden unter Schlafstörungen
  • 80 % der Erwerbstätigen zwischen 35 und 65 Lebensjahren klagen über Schlafprobleme
  • Sechs Millionen Menschen haben eine behandlungsbedürftige Schlafstörung
  • Ca. 1,9 Millionen Menschen benötigen pharmakologische Schlafmittel
  • 40% der Beschäftigten im Schichtdienst beklagen eine schlechte Schlafqualität – die Hälfte davon schläft weniger als fünf Stunden pro Tag
  • Schichtarbeiter haben ein bis zu 8-fach erhöhtes Unfallrisiko auf dem Nachhauseweg
  • Beschäftigte mit nächtlichem Schnarchen und Tagesschläfrigkeit haben ein 2,2- faches erhöhtes Risiko für Arbeitsunfälle
  • Frauen sind Ergebnissen der DEGS1 Studie zufolge doppelt so häufig von Insomnie betroffen wie Männer
  • Schlafstörungen, die im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen stehen, erhöhen die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage um das 2,8 fache
  • Hinzu kommen sozioökonomische Folgen von chronischem Schlafmangel: direkte Gesundheitskosten, Krankenhausaufenthalte, indirekte Kosten inkl. Produktivitätsverlust durch Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentungen

Auch wenn die Ursachen des Schlafmangels multifaktoriell sind und nicht immer mit der Erwerbstätigkeit in Zusammenhang stehen, gibt es Gründe aus dem beruflichen Setting, die das Schlafvermögen beeinträchtigen können:

  • Ungünstig gestaltete Schichtarbeit
  • Ungesunder Perfektionismus
  • Gratifikationskrisen
  • Organisationale Ungerechtigkeiten
  • Ungelöste Herausforderungen
  • Ängste vor Kündigungen
  • Konflikte im Team
  • Dauerhaft zu leistende Mehrarbeit
  • Negativer Stress durch häufige Arbeitsunterbrechungen
  • Parallel zu pflegende Angehörige
  • Alter und die sich verändernde Belastbarkeit
  • Geschlecht (z. B. Stillzeiten, prä- bzw. perimenopausale Beschwerden können Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit haben)

Folgende Möglichkeiten haben Arbeitgeber, um Beschäftigte vor ungünstigen Einwirkungen zu schützen oder bei der Gesunderhaltung zu unterstützen:

  • Beurteilung der Arbeitsbedingungen (auch Gefährdungsbeurteilung Psychische Belastung), Einbeziehen des Betriebsarztes/Arbeitsmediziners, Fachkraft für Arbeitssicherheit
  • Beachtung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG §6)
  • Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Nachtarbeit
  • (Neu-) Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit unter Beachtung der Chronobiologie und der Ausrichtung auf Chronotypen („Lerche“ oder „Eule“)
  • Beachten, dass Schichttoleranz bei Männern größer ist, als bei Frauen
  • Schichttoleranz nimmt bei beiden Geschlechtern mit zunehmendem Alter ab
  • Schichtpläne, unabhängig von der Rotationsschicht dürfen Ruhezeiten unter 11 Stunden nicht unterschreiten
  • Sensibilisierung der Führungskräfte für das Thema
  • Partizipation der Beschäftigten bei der Schichtplangestaltung
  • Betriebliche Gesundheitsförderung mit edukativen Maßnahmen
  • Literaturempfehlung
    • DGUV Information 206-024 Schichtarbeit – (k)ein Problem?! Eine Orientierungshilfe für die Prävention

Der Arbeitgeber schafft Rahmenbedingungen für einen gesunden Arbeitsplatz, aber Beschäftigte, bzw. Betroffene sind natürlich ebenso für ihre Gesundheit verantwortlich, indem sie auf individueller Ebene Voraussetzungen für einen gesunden Schlaf schaffen:

  • Schlafhygiene
    • Etablieren regelmäßiger Wachzeiten, unabhängig von der Einschlafzeit
    • körperliche Betätigung – bis spätestens zwei Stunden vor dem Schlafengehe
    • Koffein und Nikotin bis sechs Stunden vor dem Zubettgehen meiden
    • Alkohol in Maßen, möglichst nicht mehr bis zu vier Stunden vor dem Schlafengehen
    • Fett- und kohlehydratreichen Speisen vor dem Zubettgehen minimieren
    • Erlernen von Entspannungstechniken, Nutzung von digitalen Medien mit schlaffördernder Musik, Schlafinstruktionen, hypnotherapeutischen Techniken
    • Ruhige, kühle Schlafumgebung
    • Kein „Extra“-Blick auf die Uhr während der Nacht
    • Konsequentes Verlassen des Bettes/ Schlafzimmers (auch mitten in der Nacht), wenn Sie nicht schlafen können, gehen Sie erst ins Bett zurück, wenn Sie Müdigkeit verspüren
    • Stehen Sie jeden Morgen um die gleiche Zeit auf – unabhängig von Schlafdauer/ Ausgeruhtsein
    • Kein Mittags- oder Kurzschlaf am Tag
    • Bei Auffälligkeiten, oder wenn Sie unsicher sind, ob Sie einen Arzt konsultieren sollten: Führen Sie ein Schlaftagebuch (auch über smartphone-App) über mindestens vier Wochen
  • Bei länger anhaltenden Symptomen: Konsultation des Hausarztes empfohlen, dieser überweist i. d. R. zu einem Spezialisten
  • Der Goldstandard bei gesicherter Diagnose ist eine spezielle Verhaltenstherapie, um gezielt mit schlafhindernden Gedanken umzugehen und schlafförderliche Techniken zu erlernen
  • Ggf. kommen auch pharmakologische Mittel zur Anwendung
  • Aufzeichnungen von Schlafprofilen über Apps von Smartwatches sind nicht validiert und zeigen bestenfalls eine Tendenz, ersetzen jedoch eine ausführliche ärztliche Anamnese nicht
  • Digitale Unterstützung
    • Mementor (somnio- App):zur Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen
    • HelloBetter: Online-Kurse bei Schlafstörungen
  • Literaturempfehlung
    • DGUV Information 206-027 Leben mit Schichtarbeit -Tipps für Beschäftigte

Schlaf ist ein sehr komplexes Thema und kann an dieser Stelle nicht erschöpfend betrachtet werden. Vielleicht fühlen Sie sich jedoch durch die Impulse angeregt, Ihre Schlafroutine zu überprüfen und zu verändern.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen erholsamen Schlaf und weiterhin frohes Schaffen!

PS.: Zuletzt sei mir noch ein Hinweis für Eltern und Interessierte gestattet. Lt. Studien leiden bereits bis zu 30% der Kinder an Ein- und Durchschlafstörungen, die sich bis zum Jugendalter verchronifiziert haben können. Auch im Hinblick auf ADHS sollte eine eingehende Schlafanamnese erfolgen, denn 37% der untersuchten Kinder mit vermuteter ADHS hatten auffallende Schlafprobleme.

Quellen:

AWMF online (2021). Leitlinie „Gesundheitliche Aspekte und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit“. Verfügbar unter https://register.awmf.org/assets/guidelines/002-030k_S2k_Gesundheitliche-Aspekte-Gestaltung-Nacht-und-Schichtarbeit_2021-08.pdf [18.02.2025].

Barmer (2019). Barmer-Gesundheitsreport 2019. Verfügbar unter https://www.barmer.de/resource/blob/1026306/c386de6161daa4e5e41f4d3cc73d5563/praesentation-ergebnisse-gesundheitsreport-schlafstoerungen-data.pdf [15.02.2025].

Barmer (2023). Barmer-Analyse – Schlafstörungen nehmen weiter zu. Verfügbar unter https://www.barmer.de/presse/presseinformationen/pressearchiv/barmer-analyse-schlafstoerungen-nehmen-weiter-zu–1243652 [17.02.2025].

Bschor, T. (2022). Die Behandlung erwachsener Patienten mit Schlafstörungen – pharmakologische und nicht-pharmakologische Strategien. Arzneiverordnung in der Praxis (1/2022) Verfügbar unterhttps://www.akdae.de/arzneimitteltherapie/arzneiverordnung-in-der-praxis/ausgaben-archiv/ausgaben-ab-2015/ausgabe/artikel?tx_lnsissuearchive_articleshow%5Baction%5D=show&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Barticle%5D=5145&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Bcontroller%5D=Article&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Bissue%5D=28&tx_lnsissuearchive_articleshow%5Byear%5D=2022&cHash=dfa2aa12ac3effa91d5c6bfd2d633625 [18.02.2025].

Heidbreder, A. (2023). Chronische Insomnie – alte, neue und zukünftige Therapieoptionen. InFo Neurologie + Psychiatrie (5/2023). Verfügbar unter   https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10200335/ [17.02.2025].

Kneifel, G. (2016). Schlafstörungen: Häufig – und deutlich unterschätzt. Deutsches Ärzteblatt. Verfügbar unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/schlafstoerungen-haeufig-und-deutlich-unterschaetzt-5972221b-e2f1-4597-8816-5d8b7b04220b [18.02.2025].

LIMES Schlosskliniken (o. J.). Die Auswirkungen von Perfektionismus auf die psychische Gesundheit. Verfügbar unter https://www.limes-schlosskliniken.de/blog/perfektionismus/ [17.02.2025].

Stiftung Gesundheitswissen (o. J.). Insomie. Verfügbar unter https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/insomnie/hintergrund [18.02.2025].

Weseloh, C. (o. J.). Schlafstörungen bei Erwachsenen. Verfügbar unter https://www.arztcme.de/wp-content/uploads/arztcme_schlafstoerung_erw.pdf [14.02.2025].